Bauwelt

Kirchenbau

                                             Ein Mensch befragt seine Kirche 

haben seine Erbauer die harmonischen Verhältnisse des göttlichen Einheitsgesetz angewandt ?

                       "Du aber hast alles mit Maß, Zahl und Gewicht geordnet."

                                                                                                                               Weisheit Salomos 11,2

                                  Das  Geheimnis der Kathedrale von Chartres,  Louis  Charpentier 

 ....an einer bestimmten Stelle im Innern der Kathedrale von Chartres -nämlich im westlichen Seitenschiff des Südquerschiffes - fällt im Grau der Pflasterung eine weiße Fliese auf, rechteckig, schräg gelegt und fest verankert, in die aus goldschimmerndem Metall ein Zapfen eingelassen ist. Am 21. Juni eines jeden Jahres, wenn der Himmel nicht gerade bedeckt ist, was in dieser Jahreszeit selten vorkommt, trifft ein Sonnenstrahl genau um Mittag diesen Stein, ein Strahl, der durch eine im Glas ausgesparte Stelle das des nach Saint-Apollinaire benannten ersten Fensters in der Westmauer des Querschiffes hineindringt.

.....nach meiner Schätzung musste der örtliche Sonnenhöchststand zwischen 12.45 und 12.55 Uhr erreicht sein. Tatsächlich!

 Zu eben dieser Zeit wanderte ein Sonnenfleck über die Fliese und der Goldknopf glänzte auf...

 ....Wenn sich in einer der erhabensten Kathedralen des Abendlandes ein solches Phänomen findet, so rührt man an ein Rätsel.

 Und dieses Rätsel griff nach mir.

Die Kathedrale lebt ein Leben, das sich mir entzog, ohne mich darum zu befremden.....

....und dennoch: die Bewusstheit der Formen und Farben verwies jeden Gedanken an Naivität. Was für ein Zauber, den ich da begreifen sollte.Ein Geheimnis wollte sich mir enthüllen, hier und jetzt, angesichts dieses Steines, auf dem das Antlitz der Sonne noch eben geruht hatte.....das Geheimnis seiner Bausteine und der Edelsteine Chartres hatte nach mir gegriffen......

.............die meisten Menschen vermuten ein Geheimnis nur im Ungewöhnlichen. So ist die Kathedrale von Chartres für Ihre Besucher auch nur ein gotisches Bauwerk......Alles was uns unverständlich und geheimnisvoll an ihr erscheint oder was wir für einen phantastischen Einfall des Baumeisters oder Bildhauers halten, gründet in einem beabsichtigten Nutzen...........
 Es ist weder Zufall noch künstlerischer Einfall, dass eine Kirche dort gebaut wurde, wo sie steht, kein Zufall, wenn sie in eine Himmelsrichtung weist.....Die Form des Spitzbogens, ihre Länge, Breite, Höhe das ergibt sich nicht aus Erwägungen eines Ästheten.....
 ...ebenso sind die berühmten Fenster,* deren Glaszusammensetzung man noch immer nicht zu analysieren und zu imitieren vermag, die auf das Licht so außerordentliche und eigentümliche Wirkungen ausüben, aus einer Notwendigkeit heraus geschaffen worden. Alles-bis zum winzigen Detail - hat seinen Ort bekommen ,um von dort aus auf den Menschen zu wirken...........
Ein Mass und ein Seil
 .....ich suchte zunächst das Zentrum, den Bezugspunkt, denn um das Zentrum ist die Kathedrale konstruiert worden.

Wie wurde dabei verfahren? Nach altem Brauch war der erste Akt beim Bau eines Tempels die Errichtung einer Säule, die später wieder verschwand, war das Bindeglied zwischen der Erde und dem kreisenden Himmelsgewölbe.
 

Die Höhe der Grundsäule war ausschlaggebend; aus der Länge der umwandernden Sonnenschatten ergaben sich Maße, deren Verhältnis ein rational fassbares Abbild der wechselnden Konstellation von Sonne und Erde war und die Rhythmen des Lebens sichtbar machte. Eine besondere Rolle spielten dabei die Jahreszeiten. Die Tage der Winter und Sommerwende.
 ..............Moses, der durch die Tafeln des Gesetzes das bestimmte Mass der Tempelsäule vorgegeben hat ist am Nordportal der Kathedrale von Chartres dargestellt............

......das Mass war nicht beliebig, es war der kosmischen Konstellation entnommen. Auch das Seil war kein Werkzeug des Zufalls.Es diente zum Aufreißen der Leitfiguren, jener ins Sichtbare projizierten Sphärenmusik, deren Rhythmen das Weltgesetzt widerspiegeln.
 

Das Geheimnis der Richtung

 Im Gegensatz zur überwältigenden Mehrzahl der älteren christlichen Kirchen ist der Chor, das Haupt dieser Kathedrale, nicht  nach Osten, sondern mit einer Abweichung von mehr als 45° gegen Nordosten gerichtet; 

Wenn man den Plänen und Vermessungen des Institut national geographique folgt, sind es genau 47° Abweichung von der Nord-West-Achse. Würde es sich um eine moderne Kirche handeln, so wäre die Sache belanglos, aber Chartres ist eben keine moderne Kirche, und ein Detail wie die Richtung ist hier sogar von außerordentlicher Bedeutung........

 ..................warum aber weist Chartres nicht nach Osten, sondern nach Nordosten? Hat sich der Baumeister geirrt? Das ist ausgeschlossen. Er wäre der einzige in der ganzen Christenheit gewesen, der die Ostrichtung verfehlt hätte.

Es gibt nur eine Erklärung: Diese ungewöhnliche Richtung deutet auf den Erdstrom hin..................Kam man nach Chartres, um die Gabe der Erde zu empfangen, so musste man im Erdstrom gewissermaßen baden, das bedeutete, man musste ihm das Angesicht zuwenden.

 ...........Die Kathedrale von Chartres ist ein gotisches Bauwerk. Die Gotik ist ein Bausystem, das auf dem spitzbogigen Kreuzrippengewölbe beruht. Man datiert sein erstes Auftauchen gewöhnlich um 1130......

Die Gotik erscheint im Westen des christlichen Abendlandes an vielen Orten zugleich - und immer in  Benediktiner - und Zisterzienserabteien, vor allen in letzteren....

Das ist bemerkenswert, lässt es doch den Schluss zu, dass eigens Baumeister ausgebildet worden sind, dass es also eine Art Schule gegeben hat, von der aus sie sich über das christliche Abendland zerstreut haben. Das lässt vermuten, dass hinter der Verbreitung des gotischen Konstruktionssystems ein Wille gestanden hat. Solch ein Wille aber setzt voraus, dass seine Initiatoren, die selber geistlichen Standes waren, mit dem Kreuzrippengewölbe eine Wirkung besonderer Art erzielen wollten. So ist das Geheimnis der Gotik eng verwoben mit dem Geheimnis ihrer Geschichte.

Es ist nicht wahr, dass die Gotik die Romanik einfach ablöste. Romanische und gotische Bauweise gab es nebeneinander zur gleichen Zeit. Die Baumeister der Romanik haben weiterhin romanisch gebaut, während die Baumeister der Gotik längst gotisch bauten. Beide Schulen vermischten sich nicht. Wenn sich die romanische Schule in Gotik versuchte, so entstand zumeist ein Bastardstil, den man später höflicherweise gotischen Übergangsstil genannt hat. Die gotischen Baumeister selbst aber tappten nicht herum; die Architekten (1154) verstanden ihr Handwerk.

Man weiß von der Vereinigung der Kirchenbaumeister in Bruderschaften. Es muss sich also um zwei verschiedene Bruderschaften gehandelt haben (und das ist wichtig) die allerdings voneinander Kenntnis hatten. Das erforderliche Wissen war natürlich in einem und im anderen Falle nicht das gleiche, wenn auch beide Systeme aus dem Bestreben hervorging, das Geschenk Mutter Erde, dem Heile der Menschen zu erschließen.

Gegen Ende des 11.Jahrhunderts, mit  Sicherheit später als der persisch-arabische Kulturkreis, entdeckte Cluny - wie es scheint - den Spitzbogen und seine physiologische Wirkung auf den Menschen.......

unter dem Spitzbogen richtet sich der Mensch auf: er errichtet sich. Ein historisches Ereignis! Denn  als der Spitzbogen auftaucht, erwacht der Mensch zum Bewusstsein seiner Individualität; vorher lebte er nach einer Art des Knechtes, abhängig von Herrschern, die ihn führten. Seit dem Auftauchen des Spitzbogens gibt es Gleiche unter Gleichen, gibt es Bürger. Noch bedeutsamer ist dies in religiöser Hinsicht; denn durch eine aufrechte Wirbelsäule stellt sich der Mensch so zwischen Himmel und Erde, dass er im Einflussbereich von beider Wirkungen steht.

...............

Das menschliche Maß des Spitzbogens war den damaligen Baumeistern so wichtig, dass man vor die romanische Vorhalle der Abteikirche von Vezelay- da man sie nicht abtragen wollte oder konnte - eine Art riesigen Spitzbogengiebel setzte, obwohl keinerlei architektonische Notwendigkeit dazu vorlag. Er hat die gleiche Form, die gleichen Proportionen wie der Gewölbespitzbogen von Chartres, den man nicht mit den Bogen des Portals, der zweifellos eine Untersuchung verdiente, verwechseln sollte. Ersterer ist tatsächlich über den Fünfstern konstruiert, der traditionellen Darstellung des Menschen............

Ist die zeichenhafte Gegenwart des Menschen im Gewölbe nur eine Allegorie? Bleibt das Zeichen ohne Einfluss auf den Menschen, der die Kathedrale tritt? Hat der Baumeister nicht an eine Wirkung gedacht, als er - im Rahmen der Harmonie des Gesamtbauwerks- dem Gewölbe ein Zeichen einschrieb, das die geistige Entwicklung des Menschen anzuregen vermag? Damit fanden die Initiatoren der Gotik zum Geheimnis des singenden Steines zurück, des gespannten, schwingenden Steines, das verloren war, seitdem man es nicht mehr verstand, die riesigen Steintafeln der Dolmen von der Stelle zu tragen.

Das gotische Kreuzgewölbe beruht auf dem Prinzip, seitlichen Druck in senkrechten Druck umzuwandeln. Die Symphonie der Spannung, unter denen die Steine stehen, hebt das lastende Gewicht des Gewölbes auf, so dass es unter dem seitlich andringenden Druck der Streben eher nach oben als nach unten ausbräche. Das gotische Bauwerker erfordert, um überhaupt bestehen zu können, dass Schub und Gewicht genau aufeinander abgestimmt sind. Das Gewicht des Gewölbe, das den Seitendruck erzeugt, wird durch die Form des Gewölbes aufgehoben. Die steinerde Sprungfeder befindet sich also in fortwährender Spannung die durch die Kunst des Baumeisters =gestimmt= werden kann, nicht anders als man eine Hafensaite stimmt. Das die Kathedrale ein Musikinstrument ist, ist nicht nur ein schöner Vergleich, sie ist es tatsächlich. 

Das gibt anscheinend dem offiziellen Evolutionismus recht, der in der Gotik das reife Ergebnis der Romanik sehen will, leichter in der Konstruktion und deshalb billiger. Dennoch sind beide Systeme einander entgegengesetzt. Die Romanik, ihrem Wesen nach statisch, ist das Bild der von oben nach unten weisenden Kraft, das Gewölbe lastet auf dem Mauern. Die Gotik, dynamische Druckwirkungen zum Ausgleich bringend, ist Bild emporspringender Kraft. Das romanische Gewölbe möchte abstürzen, das gotische möchte aufspringen.

Man kann gewiss Romanik und Gotik in einem Bauwerk vereinigt finden, aber niemals im Gewölbe!

Romanische Grundmauern haben als Unterbau von gotischem Strebewerk gedient, und die Baumeister haben keine Gelegenheit versäumt, massive  romanische  Mauern als Stützen zu nutzen.........

Warum aber der Ausdruck Gotik? Die Bauweise hat absolut nichts mit den Goten zu tun; merkwürdigerweise kann sie sich nur innerhalb der Grenzen des ehemaligen keltischen Kulturraums entwickeln.........

Die Kathedrale ist gotisch gebaut, aber nicht nur weil man hölzerne Gerüste verwendet hat.......

(Ar-Goat heißt Land der Bäume....... ein gotischer Bau ist, bevor Steinmetze und Maurer daran arbeiten, ein hölzernes Gerüst. Ohne Zimmerleute, ohne Holz  gäbe es kein Kreuzrippengewölbe; das ist goatische Kunst)

.....sondern auch weil ihre Gesetze den Bildgesetzen des Pflanzenwachstums entsprechen.

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Wie Athene dem Haupt des Zeus entsprang, so ging die Gotik aus Häuptern hervor, die ein erstaunliches Wissen bargen.

..........Wie immer ihre Überzeugung auch beschaffen sein mögen, sicher ist, dass sie sich von der Arbeit eine Auffassung bewahrt haben, die fast religiös zu nennen ist; ihre Philosophie gründet sich auf der absoluten Achtung der menschlichen Persönlichkeit und der menschlichen Freiheit.

Dieselbe Achtung finden wir bei den Schöpfern der Gotik, deren daran lag, dem Menschen das rationale Werkzeug zu seiner Vervollkommnung selbst in die Hand zu geben. Dafür ist der Spitzbogen des Portals ein beweiskräftiges Beispiel.

Wer eine romanische Kirche durch das Hauptportal betreten hat, findet sich zunächst in einem Vorraum, dem Narthex, einem Ort des Verweilens, der Erwartung und der Sammlung, an einer Stätte, die den Eintretenden zur Selbstläuterung bestimmt. Mit der Gotik aber verschwindet der Narthex; statt seiner empfängt nun der Spitzbogen des Portals den Menschen und fordert von ihm, sich aufzurichten, sich seiner selbst bewusst zu sein. Dieser ist nicht mehr nur ein Schäflein seiner Gemeinde, sondern -ob gut oder böse - ein Mensch, der sich fortentwickeln soll. Ins Innere der Kirche tretend, soll er durch Einwirkung der Baumformen eine Umbildung erfahren, die in ihm wenn schon kein kosmisches Bewusstsein, so doch eine gewisse kosmische Empfindung erzeugt, was eine Stufe der Erweckung bedeutet.

Die Sommerpause ist beendet, es geht wieder weiter:

Aber vergessen wir nicht: Die Kathedrale ist ein öffentliches, um nicht zu sagen weltliches Gebäude, fürs Volk bestimmt.

Was aber besaßen jene Menschen und - Architekten der Gotik- für eine Wissenschaft-dass es ihnen gelang, geistige Werkzeuge von solcher Qualität zu schaffen? Man begreift bald, dass ein Stein, der so gespannt is, dass man ihn mit dem Fingernagel zum Klingen bringen kann, wie ein Dolmen wirken muss. 

Wie der Dolmen steht auch die Kathedrale in Berührung mit dem Wasser; ursprünglich gab es in Höhe  des Chors einer jeden Kathedrale einen Brunnen. Mehr noch! Die Kathedrale ragte hoch auf. Auch das ist Absicht. Sie taucht in ein Luftmeer ein, dem Regen, dem Stürmen, den atmosphärischen und kosmischen Stürmen preisgegeben.

Sie fängt das Licht auf, absorbiert und verwandelt es

ERDE, WASSER, LUFT UND LICHT.

Ein Athanor menschlicher Alchemie! Denn es handelt sich um Alchemie, allerdings nicht um die Verwandlung eines Metalls, sondern des Menschen, der zu einer höheren Form seiner selbst erzogen werden soll.

Damit aber das Instrument seine Aufgabe erfüllen konnte, musste auf Erden, Himmel und Mensch zugleich gestimmt

sein. Woher konnte im finsteren Mittelalter das Wissen hierüber kommen?

................Die Tafeln des Gesetzes sind die Tafeln des Logos, des Wortes, der Vernunft, des Masses, des Verhältnisses, der Zahl. Du hast alles geordnet mit Maß, Zahl und Gewicht, sagt die Weisheit Salomons von Gott, d.h. das Gesetz Gottes setzt ein die Ordnung  von Maß, Zahl und Gewicht.

                             

KONTAKT : Carla Baumann-Speth,      Arp-Schnitger Weg 31,    24229 Strande                                
04349  919483             info@cbs-strande.de    

Claus Speth  www.smsgottseidank.de   

 


Das Geheimnis der Kathedrale von Chartres , Louis Charpentier

Fortsetzung folgt


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